Lernen Sie entspannen!


Was ist Lebensqualität? ODER: Die Schweinsbraten-Theorie
Wo bin ich hier? Ich liege auf einer Gummimatte, verrenke meine Beine seltsam nach Vorgaben (soll entspannend sein) und starre an eine graue Decke, die mit 50 x 50 cm Platten zugeplastert ist, die exakt 200 x 200 winzigkleine Löcher haben, die widerum keinen weiteren Zweck zu scheinen haben. An der Decke sind ausserdem 8 hässliche 80erJahre-Neonröhren mit ekelhaftem Licht angebracht. Eine Stimme spricht "Spüren Sie die Vibration?", was mich völlig aus meiner Beobachtung reisst. Ja, was einem nicht alles auffällt, wenn man an einem Stressmanagement-Kurs von der Volkshochschule teilnimmt.

Was ich schon gelernt habe ist, dass Cortisol, Noradrenalin und Adrenalin wohl dafür zuständig sind, das ich in Stress gerate. Aber da ist ja nix dagegen zu sagen. Schließlich ist doch Adrenalin mein Programm. Ich sollte öfter Pause machen. Guter Tipp! Was aber das beste an diesen Kursen ist (weshalb ich auch immer wieder mitmache) - man lernt sich unheimlich gut kennen - und auch jede Menge Menschen, mit denen man im "wahren" Leben nie zu tun hätte. Und das nicht ohne Grund. Aber dies macht eigentlich auch zugleich den wahren Reiz für mich aus immer wieder Besser-leben-und-arbeiten-Seminare zu besuchen.

Die illustre Runde ist diesmal wirklich besonders außergewöhnlich. Da hätten wir einmal Tommi Ohrner für Arme, der scheinbar Humor hat bis zum Umfallen und sein breitgefasstes Wissen immer nur brav bei den Experten-Fragen zum Besten gibt, dann gleich daneben Hänschen Super-Korrekt, der ganz entgegen seiner Veranlagung heute tatsächlich zu spät kam und deshalb die ersten 30 Minuten mit hochrotem Kopf dasaß. Ich glaube, ich habe selten in meinem Leben einen Menschen gesehen, der einen so langweiligen Eindruck bei mir hinterlassen hat. Versteht mich nicht falsch - ich will ihm sicher nichts unterstellen - aber ihr würdet mir zustimmen, wenn ihr ihn heute gesehen hättet. Das Männer auch immer neben einander sitzen müssen bei solchen Kursen. Naja.

Links neben dem Musterknaben gibt es eine Hebamme, die im Dauerstress steht, weil sie immer im Einsatz ist. Die ist ganz niedlich. Ich mag sie gleich - auch wenn mir ihre Lebenssituation etwas Angst macht (15 Jahre Hebamme). Dann ich. Mir gegenüber sitzt Herrn Super-Korrekts zweite Karte aus einem "Schwarzer Peter"-Set: Frau Super-Korrekt. Eigentlich ein Wunder das die beiden nicht nebeneinander sitzen. Sie wirkt auf mich mit ihrer runden Brille und dem schulterlangen Pilzkopf wie eine Musterschülerin der Dominikanerinnen.Wirklich grausam. Beide haben die gleichen Angewohnheiten - sie nicken zu allem Gesagten und sitzen auf ihren Händen. Warum haben sie noch nicht gemerkt, dass sie füreinander geschaffen wurden? Aber leider sind beide viel zu schüchtern um jemals zusammen zu finden.

Dann gibt es noch die erwachsengewordene Pippi Langstrumpf, die zu dem Seminar gezwungen wurde, da sie Gehörsturz hatte. Sie spielt die ganze Zeit lustig mit ihren Dreads und verkauft am Wochenende sicher Bioäpfel auf dem Wochenmarkt. Neben ihr wiederum sitzt eine 22jährige Polizistin, die nur aufgrund eines Autounfalls da sein kann und gerade zum ersten Mal so richtig über ihr Leben sinniert. Sie macht den Job seit 5 Jahren, trägt täglich 11 Kilo kugelsichere Weste und Schusswaffe mit sich rum und wiegt schätzungsweise so 55 Kilo. Hart! Ich finde sie ganz süß, allerdings hört sie nicht mehr auf zu labern als die Referentin nach dem Grund für ihre Teilnahme am Kurs fragt. Mir fällt bei allem auf, was sie von sich gibt, dass ihr einziges Problem ist, dass sie jemanden zum Poppen sucht. Schade!

Der nächste Stuhl ist besetzt von einer Coverversion von Corinna Mey, die sich grausam abgehackt und steif bewegt, obwohl sie im Gegensatz zum Original offensichtlich sehen kann. Warum? Sie ist zwar langsam wie eine Schlaftablette, nimmt aber ebenfalls an meinem Stress-Seminar teil. Ok. Da sind wir doch mal auf die Erfahrungsberichte und Fragen von unseren Komilitonen gespannt.

Oh. Beinahe hätte ich noch Mr. Nobody vergessen, Mister ich-sage-nichts, ich-falle-nicht-auf, ich-lebe-nicht. Weil er sich selbst immer so einem Druck ausgesetzt fühlt und in seiner Arbeit komplett "fremdbestimmt" (1. Fachwort) ist, leidet er unter hohem Blutdruck und Unmut. Bluthochdruck, Verdauungsprobleme, Nackenschmerzen, Depressionen, Gastritis, Tinnitus, Zittern, Unruhe, Schwäche, Schwindel, Fieber, Infektanfälligkeit und Bruxismus (Zähneknirschen) sind nur einige der körperlichen Anzeichen für Stress (=Überbelastung). Alles in allem macht Stress krank, soviel ist sich die Referentin sicher.

Nach der Vorstellungsrunde und der Einführung in die Thematik steigen wir voll in die Informationsflut ein: "Schwarzseher sind öfter gestresst als Optimisten." " "Es gibt Leute, die die Stressindikatoren ignorieren und mit Ende 20 einen Gehirnschlag oder mit 40 einen Infarkt erleiden. Um dem vorzubeugen, sollten wir uns bewußt machen, wie viel Lebensqualität wir in Prozent leben. Ja, das klingt etwas kompliziert, aber wir mussten erst Begriffe sammeln und dann einstufen "wie oft wir dazu kommen" im Verhältnis zu "wie oft wir es gerne tun würden". Meine Lebensqualität lag mit 30 % voll im Trend. Nur Mr. Scherzbold-Klugscheiss Ohrner spielte ein kleines Quiz mit der Referentin, das er 85 % hätte. Warum ist er da, frage ich mich als auch die Referentin ihm diese Frage stellt.

Noch etwas tolles Partywissen folgt dann. Das Paretto-Prinzip. Irgendein Wert A steht zu 20 % in Verhältnis mit irgendeinem Wert B, der 80 % ausmacht. 80 % der Arbeit könnte man mit 20 % Arbeitsaufwand bewältigen. Ich leite daraus ab:

Und dann noch der Oberhammer: die Schweinebraten-Theorie, die laut der Polizisten-Schnecke besagt, das Wissenschaftler herausgefunden haben, dass der Genuss eines Schweinebratens, wenn man sich nur genug davor drauf freut, keine Gewichtsprobleme verursacht, da die Glückshormone, die dabei ausgeschüttet werden, viel mehr verbrennen, als sie würden, wenn man sich gefrustet ein Diät-Knäcke reinzuschieben. Ja, Mädels - das ist doch mal eine gute Info.

Es lebe der Genuß! Nieder mit dem Zeitmangel!


Alles was man bewusst macht, ist viel besser!

[cb 18.10.2002]